Altenheime: Ruhigstellung mit Psychopharmaka

0

Pflegeheime in Deutschland können ziemlich deprimierend sein: Die Bewohner sitzen auf dem Flur oder im Aufenthaltsraum, oft wirken sie sehr teilnahmslos. Bei vielen ist dies auf fortgeschrittene Demenzerkrankungen zurückzuführen. In vielen Fällen gibt es aber noch einen weiteren Grund für die bedrückende Stille: Viele Pflegeheime behandeln ihre Bewohner ohne ausreichende Indikation mit Psychopharmaka.

Lothar Oehlen aus Fürth ist Gründer des “Angehörigen Stammtisch Franken” und hat einen solchen Fall im eigenen Umfeld erlebt: “Ich habe bei meiner Mutter erlebt, dass sie tagelang im Rollstuhl hing wie ein Schluck Wasser in der Kurve und mich nicht mehr erkannt hat. Ich habe dann zum Personal gesagt: ‘Ich bringe meine Mutter zum Bluttest. Und wenn Psychopharmaka nachgewiesen werden, dann rollen Köpfe.’” Diese Drohung führte zum Erfolg: “Die Medikamente wurden abgesetzt, sie wurde lebhafter und sie hat mich wieder erkannt.

So wie Lothar Oehlen geht es in Deutschland einigen Familien. Die geliebten Angehörigen verändern sich nach dem Einzug in ein Pflegeheim auf rätselhafte Art und Weise. Während sie beim Einzug zwar eventuell Anzeichen von Demenzerkrankungen zeigen, aber dabei noch aktiv und ansprechbar sind, werden sie im Laufe der Zeit immer passiver und abwesender.

In Deutschland existiert ein System von kommunalen Heimaufsichten, die Pflegeheime regelmäßig überprüfen und entsprechende Prüfberichte verfassen. In diesen findet die Problematik jedoch für gewöhnlich keine Erwähnung. “Das ist ein riesiges schwarzes Loch Das wird totgeschwiegen”, so Reinhard Leopold, Gründer der Selbsthilfegemeinschaft “Angehörige und Ehrenamtliche in der Heimmitwirkung” in Bremen. Zu den häufig verabreichten Medikamenten gehören Valium und Barbiturate, aber auch Medikamente, die eigentlich dazu gedacht sind, die Symptome psychischer Erkrankungen zu behandeln und zuschlagen wie eine chemische Keule.

In München wurde die Heimaufsicht in Zusammenarbeit mit dem Amtsgericht tätig. Daher existieren zu den Pflegeheimen in der bayrischen Landeshauptstadt auch entsprechende Zahlen: 51,28 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner bekamen demnach bei einer Stichprobe im Jahr 2011 Psychopharmaka verordnet.

Die rechtliche Seite wird dabei oft ignoriert. Demente Pflegeheimbewohner haben normalerweise einen gerichtlich beigeordneten Betreuer. Die Gabe ruhigstellender Medikamente ohne medizinische Indikation, also nur mit der Motivation, den Patienten ruhig zu halten, ist genauso wie die Fixierung ans Bett als freiheitsentziehende Maßnahme und muss gerichtlich angeordnet werden. Oft wird die Genehmigung schlicht nicht eingeholt. “Bisher gingen beim Amtsgericht München solche Anträge nur in verschwindend geringer Zahl ein”, heißt es in einer Stellungnahme des AG München. Das Gericht habe deshalb vor einiger Zeit die “Initiative München” gestartet. Diese soll die Massenverschreibung von Psychopharmaka in Pflegeheimen reduzieren.

Dass die Situation in München eine Ausnahme darstellt glaubt niemand, der sich in der Materie auskennt. Der Gütersloher Gerontopsychiater Bernd Meißnest schätzte nach einem Bericht des Gesundheitsportals “onmeda” im vergangenen Dezember, dass 40 Prozent der Altenheimbewohner in Deutschland Psychopharmaka verabreicht bekommen.

Eine Motivation für die Gabe von ruhigstellenden Psychopharmaka in Pflegeheimen ist schnell gefunden: Alte Menschen, die an Demenz leiden, sind oft unruhig, ängstlich und schwer zu kontrollieren. Das alles führt zu einem hohen Personalaufwand in der Pflege, dem die personelle Situation in vielen Heimen in keiner Weise gerecht wird. Laut dem Pfleger Werner Kollmitz, Gründer der Initiative “Menschenwürde in der Altenpflege”, sei eine Pflegekraft für ca. 12 Heimbewohner zuständig. Damit blieben beispielsweise in einer Frühschicht pro Bewohner 25 Minuten für zwei Hauptmahlzeiten, eine Zwischenmahlzeit, Waschen, Toilettengang und so weiter. Laut Kollmitz überfordert allein die Grundpflege in vielen Fällen das Personal.

Teilen Sie diesen Artikel

Autor

Mein Name ist Alex. Ich bin seit 2011 als Texter und Blogger im Netz unterwegs und werde euch auf Soneba.de täglich mit frischen News versorgen.

Schreiben Sie einen Kommentar